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halloleipzig

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so oft es der alltag zulässt, wann immer möglich zweiwöchentlich, gibt's hier auf halloleipzig neues zu leipzig & umgebung.

leipzig, mein leipzig, lob ich mir (angelehnt an goethe).

Von Drachen und schlafenden Prinzessinnen oder Mach langsam!

 

Staunend stehe ich vor der fast haushoch vor mir sich erhebenden dichtdichter wuchernden Hecke. Undurchdringlich erscheint sie mir mit ihrem dornenscharfen Gehölz, das alles einfallende Tageslicht zu schlucken scheint.

Ich stehe und staune und stelle mir vor, dass genau hinter dieser Hecke das verzauberte Schloss, in welchem Dornröschen seinen Zauberschlaf schläft, versteckt verborgen sein könnte.

Ich stelle mir vor, wie sich furchteinflößend behäbig der das Schloss mit seinen im Schlaf Gefangenen bewachende Drache sich erhebt, Schwefeldampf und Rauch aus seinen zackenbewehrten Drachennüstern aufsteigend.

Ich stelle mir vor, wie sich mein treues Pferd unter mir aufbäumt und ich wie wild, getrieben von Angst vor dem Ungeheuer mit meinem scharfen Schwert immer und immer wieder auf die reißzahngroß bedornten Ranken einhacke und eindresche. Jedoch ist die Klinge für den magischen, verzauberten, ständig nachwachsenden Heckenwall einfach nicht genug.

Da fällt mein Blick auf ein Schneckenhaus. Es scheint scheinbar schwerelos an eine der Dornenranken geklebt. Ganz selbstverständlich hat sich die Schnecke an einer scharfkantigen Spitze nach der anderen vorbeigeschoben.

Mit einem Mal wirkt die Hecke nicht mehr unüberwindbar, der Drache trollt sich in sein Dornennest zurück, gelangweilt, dass sich die wütende Reiterin auf ihrem Pferd mit den rollenden Augen, den tänzelnden Hufen, dem schäumenden Maul so plötzlich aus dem Staub gemacht hat. Die kleine Schnecke kann er nicht sehen mit seinen schlechten, nur an die Dunkelheit der Hecke gewöhnten Augen. So kann die Schnecke unbemerkt und unbeschadet dieses auf den ersten Blick unüberwindbare Hindernis, den in seiner Größe und Kraft scheinbar unbezwingbare Gegner ganz einfach mit ihrer Ruhe, ihrer Langsamkeit - ihrer Besonnenheit - ihrer Macht enteignen.

 

Ich bin noch keine zwei Wochen hier und bin schon auf so nach weisen Spruch gestoßen, über so viele Zauberhaftigkeiten gestolpert. Ich glaube, Leipzig - mein Leipzig! - hat auf jede Frage eine Antwort parat.

Heute hat mir die Stadt mit diesem märchenhaften Gleichnis zugeraunt, dass man mit viel Brimborium, Auflehnung und blindem Aktionismus nicht unbedingt besser oder schneller ans Ziel kommt. Eher im Gegenteil: Irgendwann verfängt man sich im Gestrüpp und verendet kläglich oder wird vom Drachen gefressen.

In der Ruhe, der Beständigkeit und ja, manchmal auch in der Langsamkeit, liegt eine große Kraft, eine Macht und Zielstrebigkeit, die man ihr bei nicht genauerer Betrachtung sicherlich nicht zuschreiben würde.

Die Märchenstadt orakelt mir heute also: Mach langsam! Hab Geduld! Sei achtsam!

Danke, Leipzig - mein Leipzig - für diesen Rat.

 

© anaïs-madlaina büchl

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